Wenn Zwingli doch bloss mehr
auf seine Frau gehört hätte…
Einige Anmerkungen zum neuen Zwingli-Film
von Hanspeter Jecker
Herausgefordert von den «Schattenseiten der Reformation»
Schon lange nicht mehr wurde für einen Schweizer Film so stark die Werbetrommel gerührt wie für den neuen Zwingli-Film (Kino-Start am 17.1.2019). Klar, dass auch ich gespannt war auf den Film. Seit mehr als dreissig Jahren unterrichte ich Kirchen- und Täufergeschichte. Seit mehr als dreissig Jahren bin ich selber gleichzeitig fasziniert und irritiert über die Dynamiken, die sich in der Reformation entfaltet und die Jahrhunderte danach geprägt haben. Seit mehr als dreissig Jahren bin ich selber involviert in Gespräche in Kirchen und zwischen Kirchen, die historisch auf die Reformationszeit zurückgehen. Seit mehr als dreissig Jahren tue ich dies als Mitglied einer täuferisch-mennonitischen Kirche, deren Anfänge viel mit Zwingli zu tun haben – und deren weitere Geschichte stark von Verfolgung und Repression geprägt ist.
Klar also, dass auch ich gespannt war auf den Film.
Im Vorfeld wurde an diversen Veranstaltungen zum Reformations-Jubiläum immer wieder auf das Zwingli-Zitat von 1523 verwiesen „Wo der gloub ist, da ist fryheit“. Da galt es dann jeweils anzumerken, dass Zwingli diese Freiheit zu neuem Denken, Glauben und Handeln zwar gern für sich selber in Anspruch genommen hat gegenüber der katholischen Kirche. Andern aber – wie beispielsweise den späteren Täuferinnen und Täufern – hat er diese Freiheit später nicht zugestanden. Wenige Tage vor der auch von ihm gutgeheissenen Hinrichtung seines ehemaligen Weggefährten Felix Mantz hat er am 3. Januar 1527 an den Basler Reformator Oekolampad geschrieben:
„Die Wiedertäufer, die endlich einmal den Geiern vorgeworfen werden sollten, stören bei uns den Frieden der Frommen. Aber ich glaube, dass die Axt dem Baum an die Wurzel gelegt ist.“ (ZSW IX, 8)
Man konnte also durchaus gespannt sein darauf, wie der neue Zwingli-Film das aufgreifen würde, was in der neueren Forschung zunehmend auch als «Schattenseiten der Reformation» bezeichnet wird: Die Weiterführung von obligatorischer Kirchenmitgliedschaft und von Glaubenszwang, ferner der konfessionelle Hader, der nicht vor Gewalt und Blutvergiessen in «Religionsfragen» zurückschreckte, und nicht zuletzt auch der Umgang mit Minderheiten wie den Täufern.
Achtung "Spoiler-Alarm": Wer den Zwingli-Film lieber ganz unvoreingenommen anschaut ohne Hinweise auf die Handlung, tue jetzt folgendes: Sofort ins Kino, den Film ansehen und erst dann hier weiterlesen!
Zwinglis reformatorischer Aufbruch polarisiert und gewinnt zahlreichen Anhang
Eins vorneweg: Das Täufertum nimmt einen erstaunlich wichtigen Raum ein im neuen Zwingli-Film. Als der junge Zwingli (Max Simonischek) 1519 seine Stelle als Leutpriester in Zürich antritt, als er Deutsch zu predigen anfängt, weil die Leute verstehen sollen, was sie aus der Bibel hören, damit sie selber darüber nachdenken können, was sie glauben wollen – da zählen die späteren Täuferinnen und Täufer zu seinen aufmerksamsten Gottesdienstbesuchern.
Als Zwingli zunehmend Kritik an sozialen Missständen in der Stadt äussert, als er die Mächtigen in Kirche und Gesellschaft dafür mitverantwortlich macht und deren Profitsucht und Machtstreben anprangert, und als er im Namen des Evangeliums zu einer radikalen Umkehr aufruft, da zählen Leute wie ein Felix Mantz (Michael Finger) und ein Konrad Grebel (Aaron Hitz) zu seinen engagiertesten Anhängern. Gern greifen sie Zwinglis Aussage auf: «Christ sein heisst nicht von Christus schwatzen, sondern ein Leben zu führen, wie Christus gelebt hat.»
Auch Anna Reinhart (Sarah Sophia Meyer), eine junge Witwe mit drei Kindern, ist von Zwingli fasziniert. Sie leidet unter eigenen Schuldgefühlen, und noch mehr leidet sie unter einer Kirche, welche die Sehnsüchte und Ängste ihrer Mitglieder schamlos ausnutzt, um sich diese gefügig zu halten und Profit daraus zu schlagen. Zwinglis Botschaft von Gottes Barmherzigkeit und Gnade, seine Kritik an Ablasshandel und Fegefeuer wirken auf Anna ungemein überzeugend und befreiend. Da wächst etwas in ihr heran, das sie bis an den Schluss des Films durchtragen wird: «Der Herrgott hat uns gern, auch wenn man Fehler macht.» Anna und Ueli kommen sich auch menschlich näher, ziehen bald schon zusammen und durchbrechen später die Zölibat-Ordnung durch eine öffentliche Heirat.
Anna Reinhart – Ehefrau, kritische Weggefährtin und Fürsprecherin der Täufer
Die Liebes- und Beziehungsgeschichte von Ulrich Zwingli und Anna Reinhart ist so etwas wie der rote Faden des Films. Dabei ist es massgeblich auch die Perspektive der Anna Reinhart, welche im Film den Horizont eröffnet für eine kritische Evaluation der Figur von Zwingli. Sie ist es, die im weiteren Verlauf der Geschichte ihrem Ehemann vorwirft, dass er seinen eigenen früheren Positionen nicht mehr treu sei. Früher habe er die Priorität des Bibelwortes vor allen alten Traditionen gelehrt und damit Fegfeuer, Heiligenverehrung und Messe abgeschafft – bei der Tauffrage weiche er davon nun aber ab und gebe gegenüber dem Rat nach. Früher habe er Krieg und Söldnertum als grauenhaft und unmenschlich kritisiert – und nun plane er selber militärische Aktionen gegen Zürichs Widersacher.[1]
Frau Zwingli sei Dank, dass diese kritischen Fragen im Film zur Sprache kommen! In diesem Zusammenhang gelangt seitens von Regie und Drehbuch ein Kunstgriff zur Anwendung. Anna Reinhart spielt im Zwingli-Film eine Schlüsselrolle – ja: mehr noch als Zwingli selbst ist SIE eigentlich die Hauptfigur. Und weil über sie historisch fast nichts bekannt ist, kann «man» (bzw. «frau») ihr im Film problemlos all das in den Mund legen, was man selber gerne vor Ort gesagt oder gefragt gehabt hätte…
So ist es denn auch Anna, die ihren Mann zuerst anfleht, und dann Vorwürfe macht, weil er die Hinrichtung des Täufers Felix Mantz nicht verhindert, sondern ihn um seiner eigenen Ziele willen «geopfert» habe. In diesen schmerzhaften Gesprächen zwischen Anna und Zwingli zerbricht wohl noch viel mehr als bloss das irdene Gefäss, dessen Scherben Anna - nach dem Tod ihres Mannes in der Schlacht bei Kappel - in den Schluss-Sequenzen des Films traurig auf einem einsamen Feld begräbt.
Dabei ist vor allem dies bemerkenswert: In ihren kritischen Anfragen an ihren Ehemann bewegt sich Anna Reinhart inhaltlich in geradezu erstaunlich grosser Nähe zu täuferischen Positionen…
Wie kann Transformation und Erneuerung gelingen?
Annas Schlussworte – «es bleibt uns nichts anderes übrig, als auf der Suche zu sein» – klingen angesichts der fest scheinenden Gewissheiten sowohl eines Zwingli als auch seiner (im Film wenigstens am Ende zunehmend als Fanatiker karikierten) täuferischen Gegenspieler zwar fast zu modern, um zu passen für eine Frau, deren Denken und Fühlen tief im frühen 16. Jahrhundert verwurzelt ist.
Aber immerhin eröffnet sich mit diesem Aufruf zur Suche nach tragfähigen Antworten, zum «Selber Denken», eben doch auch die Möglichkeit, sich über Papst, Zwingli und die Täufer hinaus zu fragen, wie Veränderung, wie Erneuerung, wie Transformationsprozesse besser gelingen könnten als damals in der Reformation. Wie könnten Meinungsunterschiede nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Inspiration und als Bereicherung verstanden und erfahren werden? Und wie könnten Konflikte ausgehalten und gelöst werden, ohne dabei die gegenseitige Wertschätzung und Achtung zu verlieren und ohne dass Minderheiten von Mehrheiten, Schwache von Starken an die Wand gedrängt werden?
Dass diese von Anna Reinhart beschworene Suche nach tragfähigen Antworten auch die von ihrem Mann verworfenen täuferischen Positionen einzuschliessen scheint, ist dabei vielleicht etwas vom «Tapfersten», was diesen Film auszeichnet. Vor allem wenn man bedenkt, dass diese täuferische Überzeugung von «christus-gemässem Leben» eine radikale Absage an Krieg und Gewalt und ein Bekenntnis zu einer freiwilligen und obrigkeitsunabhängigen Kirche beinhaltet und die Bereitschaft zu einer Lebensgestaltung in geschwisterlichem Miteinander einschliesst, das Sinngebung jenseits von Beliebigkeit und Übergriff anstrebt.
Diese bei Anna Reinhart spürbare Offenheit im Hinblick auf täuferischen Positionen ist neu: Deren Ansätze für eine Neugestaltung von Kirche und Gesellschaft hatten jahrhundertelang und bis vor kurzem nicht den Hauch einer Chance, gehört zu werden.
Denn anders als in den paar wenigen Sätzen im Abspann zum Film zu lesen, wurde das Reformprogramm von Zwinglis Nachfolgern alles andere als «friedlich weiter geführt». Allein in Zürich kam es auch nach der Hinrichtung von Mantz noch zu etlichen weiteren Hinrichtungen von Täufern, und noch viel mehr kamen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts in Zürcher Gefängnissen um, wo man sie zur Abschreckung lebenslänglich darben liess.
Und wenn es im Abspann frohgemut-zufrieden heisst, es sei nach der Schlacht von Kappel (1531) zu keinen «weiteren verheerenden Religionskriegen zwischen den Konfessionen» mehr gekommen, dann ist dies in dieser Pauschalität fatale Augenwischerei: Es stimmt schlicht nicht für den europäischen Grossraum – man denke nur etwa an den Schmalkaldischen Krieg (1546f.), die Hugenottenkriege (1562-1598) etc. Und auch für die Schweiz kehrte der kriegerische Alltag in der Konfessionsfrage spätestens mit den beiden Villmergerkriegen (1656 und 1712) ebenfalls zurück… Ganz zu schweigen von den Tausenden schweizerischer Söldner (Katholiken und Protestanten), die sich auf fast allen europäischen Schlachtfeldern gegenüberstanden, gegenseitig abschlachteten und die Zivilbevölkerungen ins Elend stürzten...
(Und wenn schon Texteinblendungen ganz am Schluss des Films: Warum dann nicht noch ein Wort dazu, dass spätestens ein paar Jahre nach Zwinglis Tod die Reformen auch in der katholischen Kirche umfassend angepackt worden sind. Solch ein Zusatz hätte es ein klein wenig erträglicher gemacht, dass die «Altgläubigen» im Film pauschal-plakativ unsympathisch daherkommen, was irritierend stark an überwunden geglaubte konfessionelle Polemik erinnert…)
Historisch stimmig und anregend
Aber abgesehen von diesem kurzen Abspann halte ich den Film einerseits für eine historisch stimmige und filmisch glaubwürdige gute Einführung in die Dynamiken, Hoffnungen und Zerwürfnisse der Reformation, und anderseits für eine anregende Einladung zum Nachdenken über die Rolle von Religion in Politik und Gesellschaft, über das Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten, von Einheit und Vielfalt, von Kontinuität und Wandel – und wie gesagt: Über das Gelingen (und Misslingen) von Erneuerungs- und Veränderungsprozessen.[2]
Hanspeter Jecker
Lesehinweise zum Zürcher Täufertum:
BAUMANN, Michael (Hg.): Gemeinsames Erbe. Reformierte und Täufer im Dialog, Zürich:TVZ 2007.
BAUMANN, Michael, «Us Gnaden ergrüneth als Reben inn Christo» – Die Täufer – Feindliche Brüder? In: Peter Niederhäuser (Hg.), Verfolgt. Verdrängt. Vergessen? Schatten der Reformation, Zürich: Chronos 2018, 99–120.
LEU, Urs B. / SCHEIDEGGER, Christian (Hg.), Die Zürcher Täufer 1525-1700, Zürich (TVZ) 2007.
STRÜBIND, Andrea: Eifriger als Zwingli. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz, Berlin: Duncker & Humblot 2003.
Weitere Links zu täuferischer Theologie und Geschichte hier:
Website des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte: http://www.mennonitica.ch
Website der Fachstelle für täuferische Theologie und Geschichte:
https://de.bienenberg.ch/fachstelle-taeufertum
Kurzporträt zur Täuferbewegung/Mennoniten: „Wer sind die Mennoniten?“
DOWNLAOD PDF
Fussnoten:
[1]Zur Tagung «Reformation und Frieden» vom April 2017 in Zürich vgl. https://www.zhref.ch/themen/reformationsjubilaeum/nuetzliches/tagung-reformation-und-frieden.
[2]Vgl. zum Thema «Erneuerungsbewegungen» das Bienenberg Symposium von März 2019 unter https://de.bienenberg.ch/sem/kolloquium2019.