Warum Ruhe unsere Rettung ist…

Das ist der Titel eines Buches, dass mir meine Frau kürzlich schenkte (Tomas Sjödin, 2016).

Ruhe. Ein Buch mit diesem Wort im Titel hätte ich mir selbst nicht ausgesucht. Zeitmanagement und Selbstoptimierung – das sind die Schlagwörter, die mich aufhorchen lassen. Mein Bruder erzählte mir, dass einer seiner Theologieprofessoren immer wieder den Studierenden einschärfte: „Nutzt die halben Stunden“. Im Pastorenzimmer meiner früheren Gemeinde hing von einem meiner Vorgänger eingerahmt an der Wand der Bibelvers „Kaufet die Zeit aus; denn es ist böse Zeit!“ (Eph 5,16). Schlafen kannst du, wenn du tot bist. Ja, tatsächlich, wenn man noch etwas früher aufsteht und noch etwas später ins Bett geht, dann lässt sich noch mehr in den Tag packen. – „Und dann bist du auch noch früher tot“, kommentiert lakonisch meine Frau.

In der Schöpfungsgeschichte lesen wir, dass Gott ein „Schaffer“ war (das ist eine schwäbische Ehrenbezeichnung). Gott schuf und es wurde etwas. Sechs Tage lang. Aber damit war die Woche noch nicht zu Ende. Am siebten Tag ruhte Gott. Diesen Tag heiligte Gott, weil ER selbst an ihm ruhte (Gen. 2,2-3). Die jüdische Tradition spricht davon, dass Gott hier die Ruhe erschuf. Das Wort für Ruhe im Hebräischen bedeutet so viel wie: Gelassenheit, Klarheit, Friede, und Ruhe. Später geht der Sabbat als Ruhetag in die Zehn Gebote ein. Ruhe als eine Pflicht, die man sich nicht verdienen muss.

Wir sind es gewöhnt, dass Ruhe und Ausruhen eine Belohnung dafür ist, dass man ordentlich etwas geschafft hat. „Den Urlaub habe ich mir jetzt verdient!“ Die Bibel sieht das anders. Die Ruhe gehört zum Lebensrhythmus, in den Wochenrhythmus, ja sogar in den Tagesrhythmus.

Ich bin aber noch skeptisch. Was bringt mir denn das Ausruhen? Endlich komme ich auf den Gedanken, einmal nachzufragen, was meine Frau dazu bewegte, mir dieses Buch zu schenken. Stimmt irgendetwas mit mir nicht? Das klare Ja, das als Antwort kommt, ist nicht so ganz angenehm. Eigentlich ist genau das das Problem, das Zuhören. Ich merke, dass ich an manchen Stellen zu schnell oder zu beschäftigt unterwegs bin, um zu sehen, was um mich herum passiert. Es entsteht ein Tunnelblick. Menschen geraten aus dem Fokus. Und Schönheit, Gutes, Segen.

Manchmal, ganz selten, halte ich bei einer Autofahrt an, wenn ich die Landschaft und die Farben des Himmels wunderschön finde. Ich halte an, um die Schönheit aufzunehmen. Ruhe hilft mir, Dinge wertzuschätzen.

Je mehr ich über Ruhe nachdenke, desto mehr merke ich, wie ich mich danach sehne. Ruhe ist kein Zeichen der Schwäche. Im Gegenteil: Ruhe ist in der jüdischen Tradition ein Glaubensbekenntnis: Ich ruhe, denn es sind nicht meine Anstrengungen, die dem Leben Tiefe geben. Ich bekenne meine Begrenztheit. Ich verlasse mich drauf, dass Gott Dinge tun kann, die ich nicht verstehe, selbst wenn ich schlafe. Wie die Saat, die gesät wird, Zeit braucht, um zu wachsen, so brauchen wir auch Ruhe, damit Neues entstehen oder Beanspruchtes sich erholen kann.

Deswegen achte ich vermehrt darauf, Zeiten der Ruhe als ein wohltuendes Gebot anzusehen. Eines, das hilft, dass die wertvollen Dinge im Leben hervorbrechen können.
Ich brauche dann nichts (er-)schaffen, ich brauche nichts in Ordnung zu bringen. In der Sabbatliturgie bittet man Gott am Sabbat um nichts. Noch nicht einmal ein Sündenbekenntnis gibt es. Der Ruhetag ist ein Tag, an dem die Wünsche frei haben. Ich darf die Dinge so lassen, wie sie sind. Bis nach dem Sabbat.

Über den Jahreswechsel bieten wir auf dem Bienenberg „Besinnliche Tage“ an, wo es darum geht, Gottes Nähe neu zu entdecken. Sich von Gott beschenken zu lassen.

Ach ja, und da ist noch Weihnachten, wo wir mit quietschenden Reifen zum Stehen kommen. Ich nehme mir vor, an Weihnachten Ruhezeiten einzubauen. Aber bis dahin soll das nichts Besonderes mehr sein, weil ich ab sofort im normalen Wochenrhythmus Ruhezeiten einbauen will.


Marcus Weiand