Manche nennen es „die Lobpreis- oder Anbetungszeit“, andere schlicht den „Liederblock“ im Gottesdienst. Für andere wiederum ist es eine „Begegnungszeit“ mit Gott. Gemeint ist ein Setting von ca. 3-4 Liedern im Gottesdienst am Sonntag. Ich kenne kaum eine Freikirche, die nicht daran interessiert ist (oder sich dazu gedrängt sieht), in ihre Gottesdienste auch neuere Lobpreis- oder Anbetungslieder einzubauen. Oft steckt dahinter die Hoffnung, mehr (junge) Menschen anzusprechen.
Es gibt sehr gute Gründe, warum sich Gemeinden ernsthaft mit der Frage beschäftigen sollten, wie sie mehr Popularmusik in die Gottesdienste einbauen können. Nicht zuletzt, weil Pop- und Rockmusik für mehr als 70% der Bevölkerung (in Deutschland) die bevorzugte Musikrichtung ist (1). Doch es geht hier um mehr als um Stilfragen, wie ich in den folgenden Zeilen aufzeigen möchte.
DIE SUCHE NACH ERNEUERUNG
Musik im Gottesdienst wird ständig im Wandel sein. Oft beobachte ich, dass liturgisch-traditionell geprägte Gemeinden mit ihrem Stil unter einem gewissen Druck leiden. Da gibt es vielleicht in der näheren Umgebung eine „coolere“ Kirche, wo die Musik im Gottesdienst richtig abgeht. Da sind starke Bands mit gutem Sound am Start. Da werden moderne Lobpreissongs gesungen und es gehen viele, besonders jüngere Menschen hin. Ich habe schon etliche Gemeinden erlebt, die zusehen, wie sich der eigene Nachwuchs solch „hippen“ Gemeinden anschliesst.
Manch eine Gemeinde sieht sich daher mehr oder weniger dazu gedrängt, auch mehr in Richtung „Lobpreis & Anbetung“ zu machen. Da werden dann 3 Lieder mit Beamer statt aus dem Gesangbuch gesungen. Dazu wird vielleicht noch versucht, aus der Hobby-Jugend-Band ein „gottesdienst-taugliches“ Ensemble zusammenzustellen. Glücklich werden dabei oft weder Band noch Gemeinde. Oder aber man bietet parallel zum Hauptgottesdienst „Worship-Angebote“ am Freitag-, Samstag-, oder Sonntagabend an, was manchmal den ungewollten Nebeneffekt einer Fragmentierung der Gemeinde nach Vorlieben und Geschmäckern auslöst.
Dies alles geschieht oft in der Annahme, man könne mit etwas mehr „Entertainment“ und Popmusik die jungen Leute in der Gemeinde halten. Ich glaube aber, dass diese Logik meist nicht aufgeht.
MUSIK ALS GOTTESERFAHRUNG
Ich glaube nicht, dass sich die jüngere Generation nur deshalb mehr „Lobpreis & Anbetung“ im Gottesdienst wünscht, weil sie so gern Popsongs mit Gitarre und Schlagzeug hören. Das können sie sonst schon überall. Je länger ich die Szene beobachte, desto mehr meine ich zu erkennen, dass viele junge Leute gern in Gottesdienste gehen, weil sie in diesem „Lobpreis“ eine echte, tiefe, bewegende und kraftspendende Erfahrung des Glaubens machen!
Wir mögen (zurecht) kritische Anfragen an bestimmte Texte, Formen und theologische Annahmen der modernen Lobpreislieder stellen, aber wir müssen auch feststellen, dass diese „Lobpreiszeit“ für viele Menschen eine wertvolle Gotteserfahrung und eine wichtige geistliche Nahrungsquelle ist. Ich kenne Menschen, auch aus täuferisch-mennonitischen Kreisen, die diese „Anbetungszeiten“ als intensive Erfahrungen der Liebe Gottes erleben; Gottesbegegnungen mit hohem Gänsehautfaktor. Im „Worship“, mit den dazugehörigen Liedern und einer entsprechend arrangierten Atmosphäre, werden die tiefsten spirituellen Sehnsüchte angesprochen. Aus der Tiefe der Seele bringen diese Menschen singend ihre Dankbarkeit, manchmal sogar auch die Wiedersprüche und Fragen des Lebens vor Gott, um mit ihm darüber ins Zwiegespräch zu kommen.
Um diese Dynamik im Lobpreismoment freizusetzen, reicht es allerdings nicht, irgendwo zwischen zwei anderen Punkten im Gottesdienstablauf einfach 3-4, mehr oder weniger zufällig aneinandergereihte „Lobpreislieder“ abzuspulen, ohne sinnvolle Hinführung oder Anleitung zum Innehalten. Eine solche Erfahrung muss, ähnlich wie eine Pilgerreise, sorgfältig vorbereitet und geistgeleitet gestaltet werden (das weiss man nicht nur in der Lobpreisszene, sondern auch in den Klöstern, in Taizé, in der christlichen Psychotherapie oder beim Planen eines romantischen Dinners). Es müssen bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen werden, und sicherlich auch bestimmte Erwartungen vorhanden sein, damit „etwas“ geschehen kann. Und es müssen auch die musikalischen Fertigkeiten und technischen Möglichkeiten mithalten können. Gemeinden, die auf diese Lobpreisausrichtung setzen, investieren viel in Technik und musikalisches Know-how.
„WORSHIP“ ALS TRANSFORMATIVE KRAFT?
(Lobpreis-)Musik berührt das Herz. Dieses Erlebnis kann Menschen in ihrer tiefsten Mitte berühren und dadurch in Bewegung setzen. Der „Worship“, also dieses „spirituelle Gottesdienst-Erlebnis“, sollte aus christlicher Sicht allerdings nicht zum Selbstzweck oder als eine Art Weltflucht inszeniert werden, in dem der normale Lebensvollzug des Menschen, der Gemeinde, und die gesellschaftlichen Realitäten ausgeklammert werden, sondern ein klares Ziel haben:
“Unsere Gottesdienste haben Integrität, wenn sie uns auf das Projekt Gottes einstimmen und wenn sie uns auf die Mission Gottes ausrichten, so dass unser Leben als einzelne Christen und als christliche Gemeinschaften darin investiert wird, wer Gott ist und was Gottes Anliegen für diese Welt sind".
(Von mir übersetzt nach Alan & Eleanor Kreider (2)).
Wir sollten uns also erstens fragen, wie wir in unseren Gottesdiensten Raum für eine berührende geistliche Erfahrung schaffen, in der das Lebensgefühl der „Generation-Lobpreis“ (3) aufgegriffen wird. Gelingt es uns, unsere Gottesdienste als eine Art Plattform für die spirituellen Sehnsüchte (4) der Menschen unserer Zeit anzubieten?
Wenn Christsein vor allem mit konkreter Nachfolge Jesu zu tun hat, sollten wir uns zweitens allerdings auch fragen, wie diese „Lobpreismomente“ eine Ermutigung und Stärkung zu dieser Nachfolge Jesu im Alltag werden können. Wie können aus solchen „Worship-Erlebnissen“ lebensverändernde Impulse ausgehen? Wie kann dieser Lobpreis dazu beitragen, dass Menschen aus ihrer Mitte heraus transformiert und inspiriert werden, um nach den Werten des Reiches Gottes, der Seligpreisungen, der Bergpredigt zu leben? Wie kann aus dieser musikalischen Gotteserfahrung Leidenschaft für Barmherzigkeit wachsen, Begeisterung für echte Solidarität, unerschütterliche Hoffnung auf das Gute, Vertrauen auf Gottes Treue und Führsorge, Bereitschaft zur radikalen Gewaltlosigkeit, letztendlich Wachstum in Selbst-, Nächsten-, & Gottesliebe? Welche Art Musik braucht es dafür? Welche Lieder? Wie könnten sie im Gottesdienstablauf eingebaut und angeleitet werden?
Als Bienenberg glauben wir:
„Was wir und unsere Welt brauchen, sind starke Gemeinschaften und Gemeinden, mit Strahlkraft. FriedensstifterInnen voller Barmherzigkeit.“
Ich glaube es ist an der Zeit, neu darüber nachzudenken, wie „Lobpreis & Anbetung“ im Gottesdienst als eine Kraftquelle zu dieser Nachfolge Jesu im Alltag, und zur Bildung und Stärkung solcher Gemeinschaften beitragen kann.
In so manchen Begegnungen und Gesprächen stelle ich fest: ich bin mit meiner Sehnsucht nach einer erneuerten Worship-Kultur nicht alleine. Bewegen Dich diese Fragen auch? Sehnst du Dich auch danach, dass unser Lobpreis auch etwas mit unserem Leben und unserer Welt zu tun hat? Und mit all ihrer zum Himmel schreienden Not und dem Hunger nach Gerechtigkeit und Liebe?
Um eine solche Transformation des Worship-Verständnisses und der Lobpreispraxis geht es in unserer Initiative „Transforming Worship“. Wir brechen auf zu einem erneuerten, authentischen Lobpreis für unsere Gemeinden. Wenn du dich mit uns auf diese Suche machen willst, laden wir Dich herzlich zu unserer Tagung „Transforming Worship“ vom 25.-27. Januar 2019 ein!
Dennis Thielmann, Oktober 2018
Quellen
(1) Quelle: Deutscher Musikrat: http://www.miz.org/downloads/statistik/31/31_Bevorzugte_Musikrichtungen_Altersgruppen.pdf
(2) „Our worship services have integrity when they attune us to God´s project, and when they align us with God´s mission, in such a way that our lives as individual Christians and as Christian communities are invested in who God is and what God cares about and is doing” (Alan & Eleanor. Worship and Mission After Christendom (2009). Milton Keynes: Paternoster Authentic Media).
(3) Diesen Titel trägt eine neue empirische Studie von Tobias Faix und Tobias Künkler: „Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche“ (2018) Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn.
(4) Aus einer gesättigten Säkularität im westlichen Modernismus entsteht laut zeitgenössischen Soziologen und Trendforschern eine Renaissance der Spiritualität auf breiter Ebene. Siehe: Ariane Martin: „Sehnsucht – der Anfang von allem. Dimensionen zeitgenössischer Spiritualität“ (2005) Schwabenverlag AG, Ostfildern.