Radiopredigt Schweizer Radio SRF, Markus 12,41-44
Liebe Hörerin, Lieber Hörer
In der vergangenen Woche war es wieder einmal soweit: Die globale Wirtschaftselite traf sich in Davos am WEF. Die Stimme der Kirche ist dort kaum zu hören. Dabei hätte sie durchaus etwas zu sagen. So wie es Franzis- kus als neugewählter Papst vor vier Jahren tat. Damals rief der Papst die WEF-Teilnehmenden dazu auf, «sicherzustellen, dass Wohlstand der Menschheit dient, anstatt sie zu beherrschen.» Mahnende Worte, die noch immer aktuell sind. Zu Wochenbeginn machte die Meldung die Runde, dass sich der Graben zwischen Reich und Arm weiter vertieft hat. Der Wohlstand der Superreichen sei weiter rasant gewachsen – auch auf Kosten nor- maler Arbeiterinnen und Angestellter sowie des Gemeinwohls. Ob darüber hinter den verschlossen WEF-Türen geredet wurde?
«Geld muss dienen und nicht regieren!», mahnte der Papst und kann sich damit auf viele Stellen in der Bibel berufen. Dabei ist mir klar: Geld ist nicht per se schlecht. Wer Geld hat, kann damit viel Gutes tun. Geld aber kann auch herrschen und Menschen versklaven. Dagegen erhebt die Bibel Ein- spruch. Geld darf nicht knechten. Es muss dem Leben dienen.
Davon erzählt auch die folgende Geschichte aus dem Markusevangelium. Jesus hält sich mit seinen Jüngern im Tempel auf. Sie beobachten, wie Leute Geld in den Opferstock werfen. Dabei sehen sie, wie viele reiche Menschen viel Geld einwerfen. Von diesen hohen Spendensummen sind die Jünger tief beeindruckt. So viel Geld! Und erst noch für einen guten Zweck. Auf
einmal dringt die Stimme Jesu an ihr Ohr: «Psst – schaut mal da. Seht ihr diese Witwe da drüben?» Nur langsam können die Jünger ihre staunenden Blicke von den grosszügigen Geldgebern lösen. Sie sehen gerade noch, wie diese Witwe zwei Lepta in den Opferstock legt. Zwei Lepta – das ist etwa ein Zehntel dessen, was ein normaler Arbeiter an einem Tag verdienen kann. Nicht gerade viel. Schon wollen die Jünger ihren Blick wieder abwenden, da hören sie Jesus sagen: Diese arme Witwe hat mehr eingeworfen als alle, die etwas in den Opferstock gelegt haben. Denn alle haben aus ihrem Überfluss etwas eingeworfen, sie aber hat aus ihrem Mangel alles hergegeben was sie hatte, ihren ganzen Lebensunterhalt.
Jetzt staunen die Jünger erneut. Jesus hat ihr Wertesystem auf den Kopf gestellt. Eben waren sie noch von den hohen Geldsummen beeindruckt. Jetzt blicken sie mit Jesus auf diese arme Witwe. Mit ihrem kleinen Betrag hat sie mehr gegeben, als alle anderen. Sie lässt sich nicht vom Geld regieren. Sie ist nicht Sklave des Mammon. Mit wenig Geld hat sie viel Gutes getan. Mit Geld Gutes tun, ist für Jesus also offensichtlich nicht eine Frage von möglichst hohen Geldsummen. Es geht ihm auch nicht um eine grosszügige Wohltätigkeit. Die Witwe teilt nicht einfach ihren Überfluss. Sie teilt, was sie hat und verzichtet zugunsten Anderer. Ganz anders die grossen Geldgeber. Ihre fromme Selbstinszenierung hat Jesus schonungslos entlarvt. Sie geben viel – und bleiben doch vom Geld und seiner Wirkung geknechtet. Die arme Witwe pflegt dagegen eine andere Haltung gegenüber ihrem Geld. Sie ist frei zu geben – und lässt ihr Geld los.
In der vergangenen Woche waren die Blicke der Öffentlichkeit auf das WEF gerichtet. Auf Menschen, die politische und ökonomische Macht haben. An solchen Anlässen fehlt es in der Regel nicht an grossen Worten und medienwirksamen Gesten. Wir sollten uns davon nicht allzu sehr blenden lassen. Die Geschichte von der «armen Witwe» erinnert mich daran, dass eine Gesellschaft massgeblich von vermeintlich «kleinen» Beiträgen lebt. Von Menschen ohne Promi-Status, die mit ihrem Engagement mehr bewegen, als so manch gross inszenierte Konferenz. Diese Menschen, die sich mit allem, was sie sind und haben, für andere einsetzen, werden von Jesus in besonderer Weise wahrgenommen.
In unserer Geschichte handelt die «arme Witwe» beeindruckend. Die Sympathien sind im Text klar auf ihrer Seite. Und doch irritiert mich da etwas.
Ich frage mich, inwiefern sie uns als Vorbild dienen soll. Ich finde es nämlich bemerkenswert, dass Jesus ihr Verhalten nicht ausdrücklich lobt. Keine Glückwünsche, im Sinne von: «Gepriesen sei diese Witwe, die alles gegeben hat.» Zu seinen Jüngern sagt er nicht: «Handelt so, wie diese Witwe.» Das sagen meist nur jene, die heutzutage anhand dieser Geschichte über das Spenden predigen. Jesus tut dies nicht. Er hat einen anderen Blick auf das, was er da sieht.
Dies wird deutlich, wenn wir auf die Worte von Jesus hören, die er gleich vor der Szene mit der armen Witwe gesagt hat: «Hütet euch vor den Schriftgelehrten, denen es gefällt, in langen Gewändern einherzugehen und auf den Markplätzen gegrüsst zu werden und in den Synagogen den Ehrensitz und bei den Gastmählern die Ehrenplätze einzunehmen, die die Häuser der Witwen leer fressen und zum Schein lange Gebete verrichten – sie werden ein umso härteres Urteil empfangen.» Jesus übt hier harsche Kritik an der religiösen Führung seiner Zeit. Eindrucksvoll gekleidet, suchen ihre Vertreter die öffentliche Aufmerksamkeit. Ganz nach dem Motto: Sehen und gesehen werden. Ihre Zeit und Energie verwenden sie für das Gerangel um Ehrenplätze. Sie kümmern sich mehr um Status und Macht, als um die ihnen anvertrauten Menschen. Schlimmer noch. Jesus sagt: Sie fressen die Häuser der Witwen leer. Dieser Vorwurf lässt aufhorchen. Denn gleich im Anschluss wird uns ja die Geschichte von der armen Witwe erzählt. Und die erscheint damit noch einmal in einem neuen Licht.
Die Gabe der Witwe bleibt eindrücklich. Aber war sie nötig? Erinnern wir uns: Jesus kritisiert die religiöse Führung dafür, dass sie die Häuser der Witwen leerfrisst. Anstatt die Witwen zu schützen, wie es das Gesetz vor- sieht, bereichert sich das System an ihrem wenigen Geld. Es ist dieses aus- beuterische System, das Jesus kritisiert. Eine arme Witwe sollte nicht noch ihren letzten Rappen geben müssen – schon gar nicht im Gotteshaus. Viel- mehr müsste dieses System dafür sorgen, dass sie das nötige Geld erhält, damit sie leben kann.
«Geld muss dienen und nicht regieren!» - das geschieht dann, wenn Finanzsysteme die Reichen nicht immer reicher und die Armen nicht immer ärmer machen. Wenn die Schwächsten in einer Gesellschaft die langen Gewänder und das Gerangel um Ehrenplätze der Mächtigen finanzieren, läuft dagegen etwas grundlegend falsch. Dann dient Geld nicht, sondern regiert und fordert seine Opfer. Das erleben wir in unserer gewinnmaximierten Zeit. Ob das WEF daran etwas ändert, wage ich zu bezweifeln.
Leider bietet auch die Kirche häufig keine Alternative. Und doch: Immer wieder gab und gibt es Menschen, die sich von der Botschaft Jesu bewegen lassen. Bereits im Neuen Testament lesen wir von alternativen Wirtschafts- formen. Von Menschen, die bereit sind, miteinander zu teilen, um den tiefen Graben zwischen arm und reich zu überbrücken. Sie leben damit Evangelium – gute Nachricht. Man mag solche Lebensformen belächeln und als utopisch abtun. Mir wäre das zu einfach. Jesus fordert mich heraus, hinter die Kulissen ausbeuterischer Systeme zu blicken. Zu verstehen, dass inszenierte Wohltätigkeit zu wenig ist. Wenn der Wohlstand der ganzen Menschheit dienen soll, müssen auch die Schwachen einer Gesellschaft an der poli- tischen und wirtschaftlichen Macht teilhaben. Diese Aufgabe sollten wir nicht allein an das WEF delegieren. Gemeinsam sind wir aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Geld dient und nicht regiert. Amen.
Lukas Amstutz
Januar 2018
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