Slow Worship
Slow Worship
Warum wir nicht ständig von “immer mehr, höher, weiter und schneller” singen sollten
von Dennis Thielmann
Ich habe oft den Eindruck, dass die Welt sich zu schnell dreht. Alles muss immer rasch gehen. Wir brauchen immer mehr Dinge immer schneller. Wartezeit wird oft als verschwendete Zeit bezeichnet. Wir setzen uns selbst und gegenseitig immer mehr unter Druck mit höheren Zielen und Erwartungen. Alles muss immer effizienter, immer «cooler», immer «krasser», immer «geiler» werden … puh. Gott sei Dank gibt es Gegenbewegungen wie «Slow Food», «Slow Church», «Offline-Camps», Klöster und steigendes Interesse an Achtsamkeitsübungen und Meditation (es sei denn, Letzteres dient doch nur wieder dem Ziel, Menschen zu dressieren, damit sie mehr Stress hinnehmen und mehr leisten können, - mit der tragischen Nebenwirkung, dass die (über-)lebenswichtige Kompetenz der Empörung über manche fiesen Zustände in der Arbeitswelt und Gesellschaft abhandenkommt).
Anders sieht es in Gottes Schöpfung aus. Die hat viel Zeit und kennt nicht nur den gnadenlosen Leistungsdruck. Ihre Kraft liegt in der Ruhe und im natürlichen Reifen. Bäume wachsen langsam. Dafür gehen die Wurzeln tief. Manche brauchen viele Jahre bis sie Früchte tragen oder Schatten spenden. Andere kümmern sich überhaupt nicht um Frucht oder Schatten, sondern sind einfach DA. Herbst, Winter, Frühling, Sommer - alles folgt gelassen seinen gesunden Rhythmus. Alles hat seine Zeit.
Und so ist es doch auch bei unserem persönlichen und geistlichen Wachstum. Da ist ein Weg, den wir geduldig zu gehen haben. Die Beziehung eines Menschen zu seinem Gott hat unterschiedliche Phasen und muss sich vielleicht nicht ständig von Höhepunkt zu Höhepunkt steigern. Auch zwischenmenschliche Freundschaften brauchen ihre Entwicklungszeit. Loyalität und Zusammenhalt werden nicht via «online subscription» erfahren. Ich frage mich dann, warum es in vielen gottesdienstlichen Liedern (und auch Predigten) so oft um «immer mehr» und «immer höher» und «immer weiter» geht. Ist es denn nie gut genug? Warum können wir nicht öfters einfach dankbar feststellen, was bereits ist, was wir schon sind und haben? Wer ständig davon singt, dass der Segen noch kommen soll, kann den Blick für all das verlieren, was bereits gegeben ist. Ich wünschte, wir würden mehr so singen und beten, dass wir uns dadurch in Zufriedenheit, Dankbarkeit, Geduld, Bescheidenheit und Genugtuung üben (sind das nicht auch mehr oder weniger die sogenannten Früchte des Heiligen Geistes?). Es wäre ja traurig, wenn wir diesen, oft wahnsinnigen, gesellschaftlichen Optimierungszwang auch noch auf Gott und seine Erwartungen an uns projizieren.
Bei Jesus sehe ich diesen Steigerungswahn nicht. Und dementsprechend auch keine Fast-Food-Spiritualität. Er strahlt (meistens) Gelassenheit und Ruhe aus. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er seine geistliche Nahrung durch schnelle Stoßgebete, kurze Tageslosungen oder 3-Minuten-Impulse geholt hat. Und «intensive» Worship-Zeiten gab es damals auch noch nicht. Wenn Jesus über geistliches Wachstum und über das Reich Gottes spricht, dann braucht er Metaphern aus dem organischen Leben, Bilder aus der Natur, von Saat, Ernte, den Jahreszeiten, usw. Das will doch was sagen! Metaphorische Ausdrucksformen sind nicht einfach nur hilfreiche Illustrationen, sondern sie prägen und strukturieren unsere tatsächliche Sicht und Beurteilung der Realität. Welche Metaphern verwenden wir in unseren Liedern und Predigten, wenn es um unseren Lebensweg und unsere spirituelle Entwicklung geht? Sind es Bilder, die uns einladen, unseren persönlichen Werdegang dankbar und barmherzig anzugehen?
Was wir singen, macht was mit uns. Ich möchte nicht auch im Gottesdienst noch in das Lied einer von Hast und Gier getriebenen Agenda miteinstimmen - unabhängig davon, ob wir schnelle oder langsame Lieder singen. Ich sehe den Gottesdienst, und den musikalischen Lobpreis in ihm, als eine wunderbare Gelegenheit, um unsere Imagination zu wecken für eine Welt, eine Lebensart, die die DNA des Reich Gottes in sich trägt und Gottes Güte zum Vorschein bringt. Wir sollten vielleicht vielmehr über das bereits Sichtbare singen. Und darüber, dass Gottes Anliegen in uns und um uns herum oft leise und langsam heranwächst und reift. Was wir gemeinsam im Gottesdienst singen, kann uns von jener heilvollen Vision vom allumfassenden Frieden und gelingenden Leben inspirieren, die Gott für seine Schöpfung im Sinne hat.
Was hat mich zu diesen Gedanken bewegt? Nun, ich bin in diesen Tagen auf den recht simplen aber schönen Song «Go Slow» vom dänischen Singer/Songwriter Arvid Asmussen gestossen. Ein Song, den man inhaltlich und musikalisch vielleicht als «Slow Worship» bezeichnen könnte. Das Lied spricht vom Segen, der in der Entschleunigung liegt. Damit setzt er den Akzent etwas anders, als viele Lobpreislieder es tun, die man landläufig in Gottesdiensten oder christlichen Musikplattformen zu hören bekommt. Das finde ich heilsam und inspirierend. Und wie erlebst du die Lieder, die in euren Gottesdiensten gesungen werden?
Hier kann man reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=VdylxGFkiv8
Und hier der Text auf Englisch mit einer schnellen Übersetzung von mir zum Mitlesen:
I’LL GO SLOW
Arvid Asmussen 2019. Performed by Arvid Asmussen and Dina Danialsdottir
VERSE 1
I’ll go slow - Like trees grow
Oh my feet are deeply rooted in the ground
I’ll go slow - I will soak
(in) living water from my maker overflow
CHORUS
I’ll go slow and take it all in
Every taste of goodness, joy and blessing
I’ll go slow and treasure all of it
Every moment (here) is holy and complete
VERSE 2
I’ll go deep - as I sleep
Rest is sacramental, there’s so much to receive
I’ll go deep - I won’t speak
I will listen to your breathe and your heartbeat
CHORUS 2
I’ll go deep….
VERSE 3
I’ll reach high - Stretch out wide
Arms like branches, hands like leaves, embracing light
I’ll reach high – praises cry:
”I surrender, Lord, my crown and all my life”
CHORUS 3
I’ll reach high…
MACH MAL LANGSAM
Arvid Asmussen 2019. Performed by Arvid Asmussen and Dina Danialsdottir
VERS 1
Ich mache mal langsam - wie Bäume wachsen.
Oh, meine Füsse sind tief im Boden verwurzelt.
Ich mache es langsam - ich werde das lebendige Wasser aufsaugen.
Aus dem Überfluss meines Schöpfers.
CHORUS
Ich mache mal langsam und nehme alles mit.
Jeder Geschmack der Güte, Freude und des Segens.
Ich gehe langsam und schätze das Ganze.
Jeder Moment hier ist heilig und vollständig.
VERS 2
Ich gehe in die Tiefe - während ich ruhe.
Ausruhen ist ein Sakrament - es gibt so viel zu empfangen.
Ich gehe in die Tiefe - ich werde nicht sprechen.
Ich werde auf deinen Atem und deinen Herzschlag hören.
CHORUS
Ich gehe in die Tiefe …
VERS 3
Ich richte mich nach oben - strecke mich weit aus.
Die Arme wie Äste, Hände wie Blätter, umarmen das Licht.
Ich richte mich nach oben - mit Leidenschaft preise ich:
"Ich ergebe mich, Herr, meine Krone und mein ganzes Leben."
CHORUS
Ich richte mich nach oben …